Mittwoch, 9. Juli 2014

WISO berichtet: Irreführende Renteninformation ACHTUNG an alle Arbeitnehmer

Irreführender Rentenbescheid

Bei der Renteninformation fehlen viele Abzüge

Es im Alter krachen zu lassen – wer träumt nicht davon? Saus und Braus, Champagner und Zigarre bis zum Abwinken. Doch für die meisten bleibt das ein Traum. Im Gegenteil. Für die meisten Berufstätigen gibt es einmal im Jahr Post von der gesetzlichen Rentenversicherung. Die sogenannte Renteninformation erklärt, wie hoch die Rente einmal sein wird. Doch gibt es wirklich so viel? WISO hat zwei Fälle prüfen lassen. 
Irreführender Rentenbescheid
Die sogenannte Renteninformation erklärt, wie hoch die Rente einmal sein wird. Doch gibt es wirklich so viel wie drauf steht? WISO hat zwei Fälle prüfen lassen. 
(07.07.2014)
von Kai Dietrich
Wie der 30jährige Sven T. Er gehört zu einer Generation, deren Rente eher schmal ausfallen dürfte. Bereits seit seinem 16. Lebensjahr ist er berufstätig, die längste Zeit, nämlich 37 Jahre bis zum Jahr 2051, hat er aber noch vor sich, wenn es bis dahin beim Renteneintrittsalter 67 bleibt und er gesundheitlich bis dahin durchhält. Der gelernte Klempner arbeitet 40 Stunden die Woche bei einem Nettolohn von 1800 Euro im Monat. Damit bezieht er ein Durchschnittseinkommen.
Und was wird er 2051 an Rente bekommen? „Die aktuelle Renteninformation bescheinigt mir 1430 Euro und ein paar Cents. Die Zahlen sind jetzt nicht wirklich zum hurra schreien. Sollte mehr sein. Reicht im Alter definitiv nicht, meint T. gegenüber WISO. Doch: werden es denn überhaupt 1430 Euro?
Viele Abzüge fehlen noch
Rentenexperte Stefan Albers aus Montabaur glaubt das nicht. Er weiß um die Tücken der Renteninformation und hat für WISO die Unterlagen des Klempners überprüft. Sein Befund: „Von den ausgewiesenen Bruttorenten sind natürlich noch Steuern zu entrichten. Das heißt, die Einkommenssteuer ist zu entrichten und der Solidaritätszuschlag. Außerdem möglicherweise Kirchensteuer. Dann gehen zusätzlich noch Beiträge für Krankenversicherung und Pflegeversicherung ab. Wir haben natürlich auch Rentenanpassungen, aber gleichzeitig natürlich auch mindernd die Inflation.“
„Renteninformation eher irreführend"
Der Rentenberater hat für uns in die Zukunft geschaut. Seine Annahmen: die Renten steigen nur um ein Prozent, wie im Schnitt der letzten Jahre. Die Inflation dagegen liegt bei 1,5 Prozent, ebenfalls wie zuletzt. Wie bei allen Prognosen ist ein solcher Blick in die Zukunft mit Unsicherheit behaftet, gleichwohl nicht unrealistisch. Ergebnis: die 1430 Euro Rente des Sven T. aus der Renteninformation schrumpfen inflationsbereinigt auf real noch 1200 Euro. Nach Abzug von Krankenversicherung und Steuern bleiben dann noch 980 Euro übrig - ein Minus von 450 Euro! Reaktion von T.: „Ich möchte es mal mit einer Katastrophe fast gleichsetzen. Ich denke, das ist viel zu wenig, das reicht bei weitem nicht.“
Fazit des Rentenberaters Albers zur Renteninformation: „Ich halte die Rentenauskunft nicht für ausreichend, ich halte sie eher für irreführend, weil sie den Verbrauchern suggeriert, sie hätten eine bestimmte Rente in einer bestimmten Höhe, die sie tatsächlich so nie erhalten werden. Sie gibt keine klare Auskunft in Euro und Cent, wie hoch die Auszüge sein werden. Das heißt, für Steuern, für Sozialabgaben, so dass ein falsches Bild über die tatsächliche Rentenhöhe gegeben wird.“
Rente von Lohnentwicklung abgekoppelt
Tatsache ist: die Renten steigen kaum noch. Die aktuelle Rentenerhöhung zum 1. Juli täuscht ein wenig darüber hinweg, dass 2001 der Gesetzgeber eine deutliche Abkehr 

Rentenerhöhung zum 1. Juli

West + 1,67 Prozent, macht bei 800 Euro 13,36 Euro
 Ost   + 2,53 Prozent, macht bei 800 Euro 20,24 Euro
der früheren Rentenpolitik beschlossen hatte. Bis dahin sollte die Rente den bisherigen Lebensstandard sichern. Doch das schien der damaligen Regierung zu teuer zu werden. Um die Rentenbeiträge angesichts demographischer Veränderungen für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber zu stabilisieren, wurde die Rentenentwicklung von der allgemeinen Lohnentwicklung abgekoppelt. Die Folge: seit 2003 ist der Rentenanstieg gestoppt, inflationsbereinigt ist seit 2004 sogar ein Rückgang zu verzeichnen. Zudem werden Renten seit 2005 immer mehr besteuert. Zunächst mussten Rentner die Hälfte ihrer gesetzlichen Rente versteuern. Seitdem steigt der zu versteuernde Anteil jährlich um zwei Prozent, später um ein Prozent. Im Jahr 2040 werden 100 Prozent der Rente versteuert.
Drohende Altersarmut
Um das auszugleichen, sollen Arbeitnehmer seitdem privat vorsorgen. Instrumente wie die geförderte Riester-Rente sollen dabei helfen. Doch Prof. Stefan Sell von der Fachhochschule Koblenz zieht da ein traurige Bilanz: „Nach all den Jahren sehen wir etwas, was äußerst bedrohlich ist: nämlich dass gerade die unteren und mittleren Einkommen, die des Ausgleichs aus der Riester-Rente dringend bedürfen, weil sie eh schon sehr niedrige Renten haben, die auch noch mal gekürzt werden, dass die unterdurchschnittlich bis überhaupt nicht involviert sind in der Riester-Rente, währenddessen die höheren Einkommen stark davon profitieren.“ Die Folge laut Sell: „Die Ungleichheit zwischen armen und bessergestellten Rentnern wird sogar noch verstärkt!“
Für viele Rentner werde Altersarmut wieder ein Thema werden: „Es wird ganz viele Leute geben, die sich mühen und rackern und die trotzdem eine Rente bekommen, die unterhalb der Grundsicherung liegt und das haben viele bislang in dieser Dramatik noch nicht erkannt. Und das wird auch ein Stück weit verschleiert durch diese Renteninformation.“
Deutsche Rentenversicherung bestreitet Irreführung
Das bestreitet die Deutsche Rentenversicherung entschieden. Die Renteninformation enthalte alle notwendigen Angaben, sagt Reinhold Thiede, Leiter des Geschäftsbereichs Forschung und Entwicklung der Deutschen Rentenversicherung Bund: „In der Renteninformation wird ausdrücklich darauf insgesamt hingewiesen, dass es sich um Bruttozahlen handelt, dass also Krankenversicherungsbeiträge und Steuern noch abzuziehen sind. Es wird auch darauf hingewiesen, dass die Zahlen noch nicht inflationsbereinigt sind, also die Inflation diese Werte entwertet, da wird sogar ein konkretes Beispiel dazu erläutert, und es wird darauf hingewiesen, dass die Rentenanpassungen in Zukunft geringer ausfallen als die Lohnsteigerungen.“
Das stimmt zwar, doch offenbar verstehen es viele Menschen nicht. Rentenberater Albers: „Die Rentenversicherung informiert zwar auf der zweiten Seite der Rentenauskunft allgemein über die Auswirkung der Inflation auf den Kaufkraftverlust am Beispiel von 100 Euro. Stellt dies aber meines Erachtens sehr abstrakt dar. Das heißt: Es gehört meines Erachtens eine Information über die persönliche Situation des zukünftigen Rentners dargestellt. Das heißt: Er müsste anhand seiner konkreten Rente wissen, wie viel Kaufkraftverlust ist bei dieser Rente zu berücksichtigen.“
Altersvorsorge – aber rechtzeitig
Auch die Physiotherapeutin Gerti K. hat gerade ihre Renteninformation erhalten. Die 56jährige zahlt seit Jahren freiwillig ein und will planmäßig mit 66 Jahren in Rente gehen. Laut dem Schreiben wird sie dann etwa 1211 Euro erhalten. K.: „Ist deutlich weniger, als ich jetzt zur Verfügung habe. Aber ich bin sicher, dass ich da eine gute Lösung finden werde für mich selber.“
Nachdem wir ihr erklären, dass diese 1211 Euro nach Abzügen und inflationsbereinigt möglicherweise auf 960 Euro real sinken werden, ist sie nicht mehr so zuversichtlich: „Das erschreckt mich eigentlich, wenn ich das höre, das hätte ich nicht gedacht. Da muss ich mir was überlegen“, meint K.
Auch Sven T. will etwas tun. Zusammen mit seiner Frau Vanessa will er sich für die Zukunft absichern und planen, Wohneigentum zu erwerben. Ihr Vorteil: sie haben noch Zeit dafür.
Experte fordert Volksversicherung
Doch viele sorgen nicht privat vor, auch nicht mit Riester. Weil sie jeden Cent umdrehen müssen. Prof. Sell fordert darum eine „Volksversicherung“. In die alle einzahlen: „Das heißt alle Erwerbstätigen auch die Beamten, die Selbständigen müssen in eine Volksversicherung einzahlen, so wie wir es zum Beispiel in der Schweiz, in den Niederlanden und anderen Ländern haben.“

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